Archiv, IHM

JVH hob Handwerker aufs Podest
Von Jens Christopher Ulrich

Im Rahmen der Internationalen Handwerksmesse 2013 hat die JVH zusammen mit der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München die Aussteller der Sonderschau "Land des Handwerks" und andere Handwerker vorgestellt. Sie wurden außerhalb des regulären BR-Programms auf der Bühne des Bayerischen Rundfunks in Halle B3 von wechselnden Nachwuchskräften der Deutschen Journalistenschule befragt.

Werner Klotter, Klotter Elektrotechnik, Handwerker des Jahres 2013, lesen
Wilhelm Költgen, Költgen GmbH, Krefeld, Mechaniker für Behindertenfahrzeuge, lesen
Sascha Kröner, Rollstuhlbau, Kleinserien nach Maß, lesen
Andreas Nuslan aus Regensburg, Hutmacher, Manufaktur „Hutkönig, lesen
Markus Rehm,Orthopädietechnik, Goldmedaille im Weitsprung Paralympics London 2012, lesen
Jörg Schaaf von der Schaaf Bootsmanufaktur, macht Boote aus Aluminium, lesen
Wulfram Schmucker, Avantgarde Technologie Gilching, Kohlefasertechnik, lesen
Steffen Würtz, Sattlerei, Pferdesättel und Kuhshopper, lesen

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Aufs Podest

Mit der selbstgebauten Carbon-Prothese zur Goldmedaille - Markus Rehm, Orthopädiemeister
Das Interview führten Sara Weber und Amna Franzke

2012 war ein goldener Sommer für Markus Rehm: Er gewann in London paralympisches Gold im Weitsprung. Nicht nur darin ist er Meister – auch in Orthopädietechnik. Der 24-Jährige baut sich seine Prothesen selbst.

Weber/ Franzke: Wie kam es dazu, dass Sie heute eine Prothese tragen?
Ich hatte vor zehn Jahren einen Sportunfall. Ich bin leidenschaftlicher Wakeboard-Fahrer, dabei gestürzt und unter das nachfolgende Boot in die Schiffsschraube gekommen. Dann musste das Bein abgenommen werden. Das war 2003, da war ich 14.

Das ist ja ziemlich jung, was hat sich danach verändert?
Es hat sich erst mal alles verändert. Ich habe von der ganzen Familie gehört, dass das schon wieder wird, wollte das aber damals nicht so richtig glauben. Ich denke, ich habe einen guten Weg gefunden und mir Schritt für Schritt Ziele gesetzt: stehen, erste Schritte, Inlineskaten; nach einem Jahr stand ich wieder auf dem Wakeboard.

Sie bauen alle Ihre Prothesen selbst. Wie hilft Ihnen das im Alltag?
Ungemein. Ich kann alles selbst ausprobieren, spreche gegenüber meinen Kunden aus Erfahrung, habe vieles schon ausprobiert und trage die Prothese schon seit zehn Jahren. Das ist ein großer Vorteil für mich und meine Kunden, so kann ich besser nachvollziehen, wo der Schuh drückt.

Wie lange dauert es, eine Prothese fertig zu stellen?
Das ist unterschiedlich: Alltagsprothesen gehen etwas schneller, im Schnitt 3-5 Tage. Sportprothesen dauern deutlich länger, da sie spezieller sind. Sie müssen viel ausprobiert werden im Sport und Training, das dauert mehrere Wochen.

Wie lange hält eine Prothese?
Wenn sie nicht kaputt geht, relativ lange, im Schnitt drei Jahre. Jetzt nach zehn Jahren verändert sich mein Bein auch kaum noch. Die Carbon-Feder kann schon mal kaputt gehen, dann brauche ich eine neue, etwa jedes Jahr, spätestens nach 1,5 Jahren.

Wie verändert sich die Technik im Moment?
In der Orthopädietechnik geht die Entwicklung in Richtung elektronische Ersatzteile, da gibt’s viele Neuerungen, z.B. Kniegelenke, die elektronisch gesteuert werden. Diese haben Sensoren integriert und errechnen den Widerstand, den man im Kniegelenk benötigt und können das dann umsetzen. Das ist aber nur im Fall von Kniegelenken nötig. Ich hab noch mein eigenes Knie und muss nur das Sprunggelenk ersetzen, da macht Elektronik heute noch nicht so viel Sinn.

Wie viele Prothesen haben Sie?
Ich habe vier Prothesen: zwei Sportprothesen, eine für den Wettkampf und eine als Ersatz. Dann habe ich noch zwei Alltagsprothesen, davon eine Badeprothese, die wasserfest ist.

Was sind die groben Unterschiede zur Sportprothese?
Der Schaft oben ist relativ ähnlich, da werde ich mit der Prothese festgehalten, damit sie nicht abfällt. Bei der Sportprothese habe ich eine sehr große Carbon-Feder, in meiner Alltagsprothese ist vorne noch ein kleiner Stoßdämpfer fürs bergab laufen.

Was ist der Unterschied zwischen einer Weitsprung-Prothese und einer für den 100 Meter Lauf?
Von der Optik her sehen die relativ ähnlich aus. Die Carbon-Feder ist bei der Weitsprung-Prothese deutlich härter, da beim Weitsprung mehr Kräfte auf die Prothese wirken.

Welches ist Ihr Sprungbein?
Ich springe von der rechten Seite ab, also von der Prothese. Das hat verschiedene Gründe, z.B. bei der Schrittabfolge vorm Absprung. Es ist auch wichtig, beim Absprung ein schweres Schwungbein zu haben und die Prothese ist physikalisch leichter als das gesunde Bein. Deshalb springe ich von der Prothese ab.

Wie haben Sie den letzten Sommer erlebt?
Er war Wahnsinn, die Vorbereitung allein war schon unglaublich. Ich konnte kaum fassen, dass ich nach London fahren darf, habe schon die olympischen Spiele verfolgt und die Stimmung im Stadion. Die Vorfreude war wahnsinnig groß, ich hatte einfach nur Spaß und mich gefreut, ins Stadion zu dürfen und beim Wettkampf mitzumachen.

Haben Sie mit Gold gerechnet?
Ich habe mich intensiv vorbereitet und alles dafür gegeben. Ich habe schon im Training gezeigt, dass ich weit springen kann, aber dass es so weit geht, hätte ich nicht gedacht. Da sind 80.000 Leute im Stadion, das ist ein wahnsinniger Druck, aber es lief alles gut für mich, ich bin gut mit der Anlage zurechtgekommen. Das Publikum war toll, ich hatte wahnsinnig viel Spaß und die Briten waren so freundlich; das war auch der Grund, warum ich so entspannt springen konnte.

Wie weit sind Sie gesprungen?
7,35 Meter war meine Sprungweite und der neue Weltrekord.

Was ist Ihr Ziel für Rio de Janeiro 2016?
Also auf Gold geht ja nichts mehr drauf. 7,50 Meter springen, ist mein Traum.