Archiv

Geringe Resonanz und starke Vorurteile
Womit Brüsseler Politiker und Journalisten kämpfen
Bericht von der JVH-Infofahrt in Europas Hauptstadt

Von Harald Siebert
Ein vom Brüsseler ZDH-Büro und Harald Feiber bestens vorbereitetes dicht gedrängtes und „inhaltsschweres“ Programm prägte die Brüsseler Informationstage, die den 13 Teilnehmern wieder aktuelle Informationen zu Europa brachten. Nach der Vorstellung des ZDH-Büros und der aktuellen Arbeitsschwerpunkte durch Karin Rögge, Jeanine Bucherer und Tim Krögel machte Eva Lieber den Auftakt. Die Programm-Managerin Regionalpolitik für Deutschland und die Niederlande in der Europäischen Kommission beschrieb Umfang und Ziele der bisherigen Strukturfonds EFRE und ESF. 26 Mrd. Euro seien nach Deutschland geflossen, um dort im Sinne der Lissabon Strategie „Stärken zu stärken“ und die Qualifizierung zu verbessern.

Gespräche über Fragen der Europapolitik führte die JVH-Delegation in der Brüsseler ZDH-Vertretung. Unser Bild zeigt die Teilnehmer des Informationsbesuchs mit Büroleiterin Karin Rögge (3.v.l.) und dem Aachener Unternehmerehepaar Alice und Eduard Brammertz (r.), das über den Markteintritt ihrer Tischlerei in der belgischen Hauptstadt berichtete. Foto: Harald Feiber

Laut Lieber hat die EU-Kommission erkannt, dass ihre Regionalpolitik erst durch die Fördermittel für die Bürger (und damit Steuerzahler) „sichtbar“ wird. Deswegen sollten auch „reichere“ Regionen nach 2013 Mittel erhalten. Ziel sei ein „intelligentes, nachhaltiges und integriertes Wachstum“. Die letzte Entscheidung über die Ausgestaltung der künftigen Förderpolitik liege aber im Laufe dieses Jahres bei den Mitgliedstaaten.

„Lobbyfilme“ als Mittel, ein zumeist kompliziertes Sachthema in wenigen Minuten darzustellen und damit politische Positionen zu erläutern, stellte in einem Kurzvortrag Dieter Grohmann vor. Der Mitarbeiter der UEAPME hat eigenen Aussagen zufolge bisher gut 20 solcher Mischungen aus Dokumentation und Wirtschaftsfilm gemacht, bei steigender Nachfrage. Sie werden eingesetzt, um Entscheidungsträgern Sachverhalte und Meinungen dazu „knackig“ vor Augen zu führen.

Bürokratieabbau

Die Arbeiten der so genanten Stoiber-Gruppe und der EU-Kommission zum Bürokratieabbau und zu einer besseren Rechtsetzung auf EU-Ebene war das Thema von Marianne Klingbeil, Direktorin für bessere Rechtsetzung, Bewertung und Folgenabschätzung im Generalsekretariat der Kommission. Die Vorschläge der Stoiber-Gruppe würden die Lasten durch EU-Berichtspflichten bereits um 30 Prozent senken, doch wolle die Kommission noch darüber hinausgehen. Sie habe etwa 70 Vorschläge dazu gemacht, doch seien erst 20 vom Parlament und dem Rat angenommen worden. Instrumente für eine „intelligente Regulierung“ sollen eine frühzeitige Folgenabschätzung, ex-post-Bewertungen bestehender Vorschriften sowie eine Verringerung und Vereinfachung von Verwaltungslasten sein.

Innovation ohne Handwerk?

Dritter in der Runde der EU-Beamten war dann Johann Friedrich Colsman, Mitglied im Kabinett des neuen Kommissars für Industrie und Unternehmen, des Italieners Antonio Tajani. Er erklärte zwar auf unsere Fragen, dass Tajani die Politik seines Vorgängers Günter Verheugen mit Blick auf die KMU fortsetzen und den Small Business Act weiterverfolgen wolle, doch blieben in unserer Gruppe deutliche Zweifel an diesen Worten. Nicht zuletzt der Satz „Innovation ist der Schwerpunkt in der 2020-Strategie, aber mit Innovation hat das Handwerk ja nichts zu tun“ hat zu dieser Skepsis beigetragen. Ansonsten sprach sich Colsman dafür aus, den Weg von einer Idee order Entwicklung zur Marktreife zu verkürzen und wachstumsstarke neue Industriebereiche zu identifizieren und dann zu fördern, um so für Wachstum und  Fonds Arbeitsplätze zu sorgen.

Ihre Praxiserfahrungen mit Aufträgen in Belgien brachten Alice und Eduard Brammertz sehr eindrucksvoll ein. Trotz hohen Engagements hat ihr Tischlerunternehmen mehrere Jahre benötigt, um rechtssicher im Nachbarland Fuß zu fassen. Deutsche Handwerksqualität sei dort sehr gefragt. Inzwischen hat Brammertz sich auf die deutschsprachige „Gemeinde“ in der Region Brüssel spezialisiert und macht 25 Prozent ihres Umsatzes (bei 24 Mitarbeitern!) dort. Sie beklagten den weiterhin hohen bürokratischen Aufwand solcher Aktivitäten.

EU-Korrespondenten brauchen gute Verbindungen, um exklusive Nachrichten zu erhalten. Das erzählte Rolf-Dieter Krause, Leiter des ARD-Studios Brüssel, im Gespräch mit der JVH-Delegation. Foto: Harald Feiber

Alltag der Brüsseler Journalisten

Aus ihrem Korrespondenten-Alltag berichteten uns Stefanie Bolzen (Die Welt), Detlef Fechtner (WAZ), Peter Heilbrunner (SWR) und (nach einer Führung durch das ARD-Studio) Rolf-Dieter Krause (WDR). Es dauere sehr lange, bis man ein Netzwerk an Informanten aufgebaut habe, andererseits sei die Kollegialität sehr groß. Für entscheidend halten alle vier, die Europapolitik auf die Heimat „herunterzubrechen“,um Interesse und Problembewusstsein zu wecken. Dem Vorurteil, Europa-Abgeordnete seien abgehalftert in der Heimat und in Brüssel faul, widersprach Krause vehement – bis auf den einen oder anderen Einzelfall.

Diese Meinung teilte dann auch einer dieser MdEPs, Hermann Winkler, EVP-Abgeordneter aus Sachsen. Er ist seit einem Jahr im Europäischen Parlament und dort im Ausschuss für regionale Entwicklung sowie im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie tätig. Obwohl er bereits als Europa-Minister des Freistaates Erfahrung in Brüssel und Straßburg gesammelt hatte, hätten ihn das Arbeitspensum und die Informationsflut, die auf MdEPs einstürze, überrascht. Der Spagat zwischen der Arbeit in Brüssel und Straßburg, den Abstimmungen mit der Bundespolitik in Berlin und natürlich dem Wahlkreis in Sachsen sei arbeitsintensiv. Auf EU-Ebene würden überaus wichtige Dinge entschieden, doch, so Winkler, die Resonanz in der Öffentlichkeit sei gering und die Vorurteile weiterhin stark.